Wie Renault 5 und V2G Telekom-Anbieter und Energieversorger zwingen, ihr Wachstumsmodell zu überdenken

Telekom-Anbieter galten als extrovertiert: agil, digitalaffin, fokussiert auf Kundenabwanderungen (Churn-Rates) und Streaming-Partnerschaften. Energieversorger waren das stille Rückgrat: zuverlässig, unverzichtbar – aber kaum als spannend wahrgenommen. Die einenarbeiteten mit Sendemasten und Gigabytes, die anderen mit Leitungen, Rohren und Kilowattstunden. Niemand hätte erwartet, dass sie einmal die Rollen tauschen würden.
Doch bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Sie gehörten schon immer zur gleichen Familie.
Denn hinter Markenauftritt und Infrastruktur folgt ihre Wertschöpfung demselben Prinzip: Eine Kundin oder ein Kunde wählt ein Angebot, verbraucht eine messbare Leistung und erhält eine Rechnung. Ob es sich dabei um Daten oder Energie handelt – im digitalen Sinne ist es einfach eine weitere Verbrauchseinheit. Ein Kilo-irgendwas.
Diese Erkenntnis ist nicht nur theoretischer Natur. Sie prägt den Markt bereits heute.
Eine Revolution nahm still und leise Fahrt auf – mit einem Auto
Sie begann in Europa – an einem Ort, an dem man keinen Umbruch im Abrechnungswesen erwarten würde: in einer Automobilfabrik.
Renault, bekannt für erschwingliche Kompaktfahrzeuge, brachte ein neues Elektroauto auf den Markt: den Renault 5E-Tech Electric. Doch dieser sollte nicht nur nach Hause fahren können, sondern auch das Zuhause mit Strom versorgen – oder überschüssige Energie zurück ins Netz einspeisen. Das Fahrzeug wurde damit zu einem aktiven Bestandteil der Energiewirtschaft.
Doch bei der Umsetzung dieser „Vehicle-to-Grid“-Vision (V2G) gemeinsam mit The Mobility House stieß Renault auf Widerstände. Klassische IT-Systeme von Energieversorgern waren nicht auf solche Anforderungen ausgelegt: dynamische Tarife, bidirektionale Energieflüsse, Echtzeitabrechnung, Bonusmodelle für Kund:innen. Renault traf daraufhin eine mutige Entscheidung und trat über die Tochtergesellschaft Mobilize faktisch in den französischen Energiemarkt ein.
Ein Automobilhersteller wurde zum Energieanbieter – nicht als Pilotprojekt, sondern als strategisches Geschäftsmodell.
Das Renault 5 E-Tech Electric Projekt ist das erste operative V2G-Angebot in Europa und verändert derzeit das Regelwerk beider Branchen – und inspiriert ähnliche Entwicklungen auch außerhalb Frankreichs.
Währenddessen auf der anderen Seite des Zauns …
Telekom-Anbieter kämpfen. Der Smartphone-Boom ist vorbei. Der durchschnittliche Umsatz pro Kunde (ARPU) stagniert oder sinkt. 5G brachte nicht den erhofften Umsatzschub. Streaming-Pakete haben ihre Grenzen erreicht. Und die meisten Anbieter sehen sich mit schrumpfenden Margen und überlasteten Altsystemen konfrontiert.
Sie wissen, dass sie Veränderungen brauchen. Bei jeder Keynote sprechen sie über den Wandel. Aber wenn es an der Zeit ist zu handeln, zögern sie. Veraltete Systemlandschaften, risikoscheues Management und der ewige Glaube an „noch ein letztes Upgrade“ der BSS-Infrastruktur bremsen Innovationen aus.
Energieversorger hingegen handeln.
Weil sie keine Wahl haben.
Regulatorische Vorgaben erzwingen Veränderung. Der Klimawandel verlangt nach Flexibilität. Und Kund:innen achten erstmals so genau auf ihre Energieverträge, wie sie es früher bei Mobilfunktarifen taten: Will ich eine Flatrate? Ein zeitbasiertes Modell? Kann ich meinen Solarstrom zu Spitzenzeiten verkaufen?
Die Smart-Meter-Revolution liefert dabei die nötigen Daten – detailliert, dynamisch und direkt nutzbar – und neue Marktteilnehmer beginnen bereits, diese zu monetarisieren. Nicht erst in zehn Jahren, sondern heute.
Telekom-Anbieter und Energieversorger: Nicht nur Annäherung – eine Kollision
Die anfängliche leise Annäherung mündet inzwischen zur Kollision. In Skandinavien bieten Energieversorger bereits Mobilfunktarife an. In Deutschland testen Telekom-Anbieter Stromangebote. In Portugal entstehen erste Kombipakete aus Internet- und Energieversorgung.
Im April 2024 stieg Fastweb, ein führender italienischer Telekommunikationsanbieter, mit Fastweb Energia in den Strommarkt ein – mit fixen Tarifmodellen für verschiedene Verbrauchsprofile und 100 % erneuerbarer Energie.
Beide Branchen blicken dabei auf dasselbe Problem – nur von unterschiedlichen Seiten: gesättigte Märkte. Jeder, der ein Smartphone will, hat bereits eins. Jeder, der Strom benötigt, zahlt schon dafür. Wachstum im Kerngeschäft ist kaum noch möglich – es sei denn, man beginnt, die Leistungen der jeweils anderen Branche mitzuverkaufen.
Doch es geht bei dieser Annäherung nicht nur ums Überleben – sondern um neue Wertschöpfung.
Telekom-Anbieter bringen Infrastruktur, Kundenzugang und Daten mit. Energieversorger haben regulatorischen Druck, Marktdynamik und einen echten Veränderungsantrieb. Gemeinsam können sie völlig neue Erlebnisse bieten – von Echtzeit-Stromdashboards in mobilen Apps über Treueprogramme, die CO₂-Vermeidung mit zusätzlichem Datenvolumen belohnen, bis hin zu Haushalten, die im Schlaf Geld verdienen, weil sie ihre E-Auto-Ladung intelligent timen.
Das ist längst keine Zukunftsvision mehr. Es passiert bereits – mit triPica als zentraler Plattform für Billing und CRM beider Branchen.
Innovation am Rand – dann zurück zum Kern
Das Erfolgsmodell nimmt Form an: es beginnt oft mit einem digitalen Nebenprojekt – losgelöst vom Mutterkonzern. Auf einer flexiblen, modernen Plattform aufgebaut, zeigt es sein Potenzial. Sobald der Beweis erbracht ist, wird es zurückgeführt und skaliert.
So ist es in Malaysia geschehen: Ein ambitionierter Anbieter startete Yoodo, eine vollständig digitale Mobilfunkmarke auf der Plattform von triPica. Sie wuchs, Kund:innen liebten sie – und heute dient sie als Innovationsmotor innerhalb der Hauptmarke. Nicht als Experiment, sondern als strategischer Bestandteil.
Die Botschaft ist klar: Nicht das alte System reparieren – sondern parallel ein neues aufbauen. Es wachsen lassen. Und es dann zum neuen Kern machen.
Der Kampf um den zentralen digitalen Hub hat begonnen
Über alle Branchen hinweg will jede:r zum zentralen Hub im digitalen Alltag der Kund:innen werden. Telekom-Anbieter. Energieversorger. Streamingdienste. Sogar das Auto in der Garage.
Doch Kund:innen wollen nicht fünf verschiedene Hubs. Sie wollen einen. Einen zentralen Ort für Konnektivität, Energie und Entertainment. Eine vertrauenswürdige Marke, die ihr Leben vereinfacht – nicht verkompliziert.
Wer gewinnt? Die Marke, die bereits im Zuhause ist. In der Hosentasche. An der Wand. In der App.
Das kann nach wie vor der Telekom-Anbieter sein. Es kann genauso gut der Energieversorger sein. Oder vielleicht... Renault.
Das nächste Kapitel wird bereits geschrieben
Telekom-Anbieter müssen sich bewegen. Energieversorger tun es bereits. Das Wachstumsmodell der Zukunft dreht sich nicht um mehr Gigabytes oder günstigere Minuten. Es geht um den Einstieg in die Energiewende, die Ermöglichung digitaler Lebensstile – und die grundlegende Frage, was man eigentlich verkauft.
Die Konvergenz ist nicht in Sicht. Sie ist da.
Und wer seine lang verloren geglaubten Verwandten auf der anderen Seite des Tisches erkennt und mit ihnen gemeinsam baut, wird die Zukunft gestalten.